Nachhaltigkeit in der Textilbranche

 

Interview mit Henrik Junger, better2gether Reutlingen (Juli 2020)

Eines der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung ist, nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherzustellen. Trotz Bemühungen des Bundes und des Landes die Ziele umzusetzen, gibt es auch viele Eigeninitiativen von verantwortungsbewussten Menschen, welche sich aktiv für einen nachhaltigeren Konsum einsetzen. Henrik Junger, Inhaber und Gründer von better2gether Reutlingen, spricht im Interview über Klimaschutz und Nachhaltigkeit in der Textilbranche.

KSA: Auf Ihrer Internetseite schreiben Sie: „Better2gether […] entstand aus einem Gefühl, das alles andere als positiv war. Unzufriedenheit, Unverständnis, Ärger und Frust über das Verhalten und den Konsum von uns allen.“ Können Sie kurz zusammenfassen, wie es zu der Idee ein Unternehmen zu gründen kam und wie better2gether entstand?

Junger: Wir haben better2gether 2008 gegründet. Ich hatte davor bereits Erfahrung in der Bio-Branche gesammelt, im Bereich der ökologischen Landwirtschaft. Bio-Lebensmittel hatten zu diesem Zeitpunkt bereits den Sprung aus der Nische geschafft, was man von fair produzierter Bio-Mode nicht sagen konnte. Aber es kam Bewegung in die Sache, als sich eine Handvoll junger Labels gründeten, mit dem Anspruch faire und ökologische Kleidung zu produzieren, die in Qualität und Optik den konventionellen Marken in nichts nachstand. Damit war die "Fair Fashion Revolution" ausgerufen. Als Händler haben wir mit unserem Online-Shop und unserem Ladengeschäft diesen Prozess von Anfang an mitbegleitet, haben viel Aufklärungsarbeit geleistet und dieser Bewegung eine Plattform gegeben. Daraus sind enge Partnerschaften gewachsen, die bis heute Bestand haben.

KSA: Was sind, Ihrer Meinung nach, die Probleme des konventionellen Handels, sowohl seitens der Händler, als auch der Konsumentinnen und Konsumenten?

Junger: Während der Corona-Krise wurde oft auf die Resilienz, also die Widerstandskraft eines Unternehmens in Krisenzeiten, verwiesen. Nachhaltig agierende Unternehmen sind da meistens klar im Vorteil: Transparente Lieferketten, soziale und ökologische Standards, Innovation und Flexibilität – das alles kann zu einer erhöhten Resilienz beitragen. Ein weiterer Unterschied ist die Langfristigkeit, das Denken in größeren Zeiträumen. Für mich als Unternehmer bedeutet das zum einen, möglichst dauerhafte Partnerschaften einzugehen und eine gewisse Kultur der

Genügsamkeit zu pflegen, bei der nicht der maximale Profit, sondern Gemeinwohl und Lebensqualität im Vordergrund stehen. Eine stetig wachsende Anzahl an Konsumentinnen und Konsumenten trägt dieses ganzheitliche Konzept mit.

KSA: Wie müsste Ihrer Meinung nach eine nachhaltige Textilbranche aussehen?

Junger: Die Herausforderungen in der Textilbranche sind vielfältig. Kurz gesagt: Eine zukunftsfähige Textilproduktion setzt auf nachhaltige Rohstoffe, optimiert den Energie- und Wasserverbrauch, verzichtet auch schädliche Chemikalien und erfüllt die soziale Verantwortung gegenüber MitarbeiterInnen. Außerdem setzt eine solche Textilproduktion auf langlebige Materialien, auf Reparatur und Recycling, anstelle von kurzfristigen Trends.

KSA: Better2gether ist ein Shop mit den Grundsätzen bio – fair – sozial – nachhaltig und dem Ziel eines besseren Zusammenlebens der Menschen untereinander und mit der Natur. Wie versucht better2gether dieses Ziel zu erreichen?

Junger: Zunächst einmal, indem wir jeden Tag diese Werte selbst leben. Dabei haben wir keine fertigen Lösungen und sind auch nicht immer völlig frei von Wiedersprüchen. Manchmal müssen Kompromisse eingegangen werden, das kommunizieren wir offen. Das bedeutet für uns Authentizität. Und diese ist Grundlage für Vertrauen. Und genau darum geht es uns. Als Familienbetrieb profitieren wir außerdem sowohl vom geduldigen Weitblick einer erfahrenen Generation, wie auch vom Veränderungswillen junger Menschen. Als Ausbildungsbetrieb bieten wir benachteiligten Menschen den Raum und die Zeit, die sie benötigen, um ihr Potenzial ihren Veranlagungen entsprechend zu entfalten und gewinnen wiederum Perspektiven, die unser Leben und Arbeiten bereichern. Gleichzeitig üben wir uns so im täglichen Miteinander in Respekt und Empathie und schaffen damit die Grundlagen für das was better2gether im Kern ist: Gemeinschaft.

KSA: Wie erleben better2gether und die Hersteller der angebotenen Produkte die Corona-Krise?

Junger: Die Corona-Krise war ein Stresstest für nachhaltige Unternehmensformen, in dem sie zeigen konnten, dass sie weniger anfällig für Krisen sind. Ein Beispiel: Fast-Fashion-Produzenten mussten in der Corona-Krise Aufträge für ganze Kollektionen stornieren. Darunter leiden natürlich hauptsächlich die ArbeiterInnen in den Fabriken. Im Slow-Fashion-Bereich sind wir lange nicht so stark abhängig von saisonalen Trends und dem damit verbunden Preisdruck. Unsere Labels setzen eher auf zeitlose, langlebige Mode, mit nur zwei Hauptkollektionen pro Jahr. Mit diesem Ansatz konnte die Produktion weitestgehend aufrechterhalten werden. Hinzu kommt die große Solidarität zwischen Herstellern, Händlern und Kunden, sowie kreative Ideen und individuelle Lösungen seitens aller Beteiligten.

KSA: „Die Klimakrise ist die schlimmere Krise“. Was halten Sie von dieser Aussage in Bezug auf die Corona-Krise und die Textilindustrie?

Junger: Klimaschutzziele dürfen aufgrund der Corona-Krise keinesfalls ins Hintertreffen geraten oder zeitlich aufgeschoben werden. Die konventionelle Textilindustrie belastet die Umwelt nach wie vor zu stark. Nachhaltige Textilunternehmen hingegen verbrauchen bei der Produktion nicht nur weniger Energie, sie verschmutzen auch keine Gewässer durch giftige Chemikalien. Außerdem sind sie innovativ, entwickeln ressourcenschonende Materialien oder forschen an den Möglichkeiten der Recycling- und Kreislaufwirtschaft. Kombiniert mit einem bewussten Konsum, kann das dazu beitragen die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren.

KSA: Vielen Verbraucher*innen ist mittlerweile bewusst, dass Dinge des täglichen Bedarfs oft in Ländern hergestellt werden, in welchen niedrige Arbeits- und Umweltstandards gelten. Was sind Ihre persönlichen Tipps, die Verantwortung, welche sich daraus ergibt, ernst zu nehmen und umzusetzen? Welche Tipps haben Sie speziell für Bürger*innen in Reutlingen?

Junger: Bewusstsein ist immer der erste und wichtigste Schritt. Mittlerweile gibt es zuverlässige Siegel, die eine erste Orientierungshilfe bieten, wie z.B. GOTS (Global Organic Textile Standard), welcher sicherstellt, dass Kleidungsstücke nach ökologischen und sozialen Kriterien hergestellt wurden. Man kann auch darauf achten, ob es sich bei einer Modemarke um ein Mitgliedsunternehmen der Fair Wear Foundation (FWF) handelt. Und mein persönlicher Tipp ist: Offen und neugierig sein, einfach auch mal nachfragen und Informationen einholen. Sich dann aber auch nachsichtig und wohlwollend zeigen können, denn die Prozesse, die unsere Welt bewegen sind komplex und weder Zynismus, noch verhärtete Fronten bringen uns als Gesellschaft voran. Der Slogan "We are all in this together", der während der Corona-Krise geprägt wurde, gefällt mir in dieser Hinsicht besonders gut und sollte als Leitspruch für alles im Leben gelten.

Vielen Dank an Henrik Junger für das Interview!